I. Ehrensberger-Katz: Biel Bienne

Titel
Biel Bienne. Altstadt und neue Quartiere ohne die eingemeindeten Dörfer Bözingen, Madretsch, Mett, Vingelz


Autor(en)
Ehrensberger-Katz, Ingrid; Wick-Werder, Margrit
Erschienen
Bern 2002: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte - GSK
Anzahl Seiten
78 S.
Preis
ISBN
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christoph Zürcher

Der neue Biel-Führer – ein Nebenprodukt der Expo02 – füllt endlich eine schon lange offene Lücke: einen wissenschaftlich kompetenten, gut lesbaren, gut bebilderten und handlichen Führer zu Biel gab es bisher nicht. Die Aufmachung entspricht dem Standard der längst bewährten Publikationsreihe. Der Perimeter des Werkes umfasst das Stadtgebiet von Biel ohne die nach 1900eingemeindeten Dörfer Bözingen, Madretsch, Mett und Vingelz, was bedauerlich,aber zu akzeptieren ist aus Gründen des Umfangs. Die präzise und kurz gefasste historische Einleitung und der Altstadt-Teil wurden von Margrit Wick-Werder, der Teil über die neuen Quartiere von Ingrid Ehrensperger-Katz verfasst. Zu jedem Teil gehört ein übersichtlicher Plan (vordere und hintere Umschlagklappe), wo die im Text beschriebenen Objekte mit Nummern gekennzeichnet sind, so dass man sich bequem den eigenen Stadtrundgang zusammenstellen kann. Ausserhalb der Altstadt ergibt dies sechs lohnende, mehr oder weniger lange Quartierrundgänge: zwischen Altstadt und See – Schüsskanal mit Neuquartier und Plänke - Nidaugasse/Dufourstrasse/Neumarktquartier – Juravorstadt/Bözingenstrasse – Rebbergquartier – Bahnhofquartier und Expo02-Gelände. Nach einer prägnanten Einleitung und Gesamtwürdigung des Quartiers folgen jeweils die herausragenden Einzelobjekte. Die Broschüre enthält ein Glossar von Fachausdrücken und ein Literaturverzeichnis. Eine gute Idee ist der zusätzliche Rundgang (hintere Umschlagklappe aussen), der 18 Standorte von Bauzeugen der Uhrenindustrie zusammenfasst: eine kleine Auswahl von Fabrik-, Atelier- und Verwaltungsbauten, die 2001 noch erhalten waren, wenn auch oft umgenutzt. Für Nichtbieler und Nichtfachleute der Uhrenindustrie wäre eine Übersetzung der uhrentechnischen Fachausdrücke im Glossar nützlich gewesen. Wer weiss schon, was ein guillocheur, pivoteur, ébaucheur oder remonteur ist? Sehr hilfreich sind auch die eingestreuten, grau unterlegten Texte zu einzelnen Themen, so zum Hauterive-Baustein, zur Indienne-Industrie, zu Tram- und Buswartehallen, zum bedeutenden Baumeister August Haag (1850–1918), zum Atelier Robert und zur Geschichte der General Motors. Biel wird von Auswärtigen meist als moderne Stadt, Industriestadt (was sie seit 30 Jahren nicht mehr ist) oder Zukunftsstadt wahrgenommen. Dass Biel eine höchst sehenswerte Altstadt hat, ist weniger bekannt. Das hängt damit zusammen, dass der Bahnhof in beachtlicher Entfernung zur Altstadt errichtet wurde. Sie geriet nicht – wie dies etwa in Bern ganz ausgeprägt der Fall ist – in den Sog der City-Bildung und damit der «Modernisierung». Bloss die letzte Stadterweiterung südlich der Schüss im Bereich der Nidaugasse erfuhr grössere bauliche Veränderungen. Dieser Teil der historischen Altstadt ist baulich kaum mehr als solche erkennbar und deshalb von den Autorinnen zu den Neubauquartieren geschlagen worden. Sie weisen zu Recht auf die Bedeutung der Altstadt hin: «Die Bieler Altstadt birgt eine interessante historische Substanz und liest sich wie ein Bilderbuch für spätmittelalterliche Stadtstruktur, für baugeschichtliche Entwicklungsstufen vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart und für denkmalpflegerische Massnahmen der letzten 150 Jahre.» (S. 31). Einzigartig ist Biel für die Architektur aus der Zeit des so genannten Gemeindesozialismus der Ära des Stadtpräsidenten Guido Müller. Die Stadt nahm damals die Formen des internationalen Neuen Bauens als Ausdruck demokratischer Entwicklung auf. Dazu gehören das Bahnhofquartier, die Überbauung Ländtestrasse, die Tramwartehallen, das Volkshaus und das Hotel «Elite», Stadtbibliothek und Strandbad, die General-Motors-Fabrik und eine grosse Anzahl von genossenschaftlichen Wohnungsbauten. Dass Architekt Eduard Lanz, der ausser dem Volkshaus nicht weniger als 285 Genossenschaftswohnungen errichtete, nicht mit einer kleinen Biografie gewürdigt wird, ist schade. Unsorgfältig ist Biel – aus ideologischen Gründen? – mit dem Erbe des eigentlichen Industriezeitalters umgegangen, das heisst mit den Bauten zwischen 1860 und 1920. Viele herausragende Bauten des Historismus wurden bis in die 1980er-Jahre hinein abgebrochen, unter anderem die Tonhalle, das Rüschli, das Hotel «Bielerhof». Die Moderne der Dreissigerjahre war eben auch «eine Bewegung gegen Eklektizismus und Stilkopie». Sehr sorgfältig ausgewählt ist das instruktive Bildmaterial. Gelegentlich wird dem Betrachter auch schmerzlich bewusst, was der städtezerstörende motorisierte Privatverkehr in den Jahren ab 1950 anrichtete, etwa beim Bild des grosszügig konzipierten Bahnhofplatzes um 1945, der – nur spärlich mit Wartehalle und Kandelaber möbliert – ohne Absatz in die Bahnhofstrasse überging. Da wäre Reparaturarbeit zu leisten. Insgesamt ist es ein Vergnügen und grosser Gewinn, anhand dieses neuen Biel-Führers die Stadt (neu) zu entdecken. Dies sei allen Leserinnen und Lesern empfohlen.

Zitierweise:
Christoph Zürcher: Rezension zu: Ehrensperger-Katz, Ingrid; Wick-Werder, Margrit: Biel Bienne. Altstadt und neue Quartiere ohne die eingemeindeten Dörfer Bözingen, Madretsch, Mett, Vingelz. Bern, Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, 2002 (Schweizerische Kunstführer, Nr. 705/706), 78 S., ill. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 65, Nr. 4, Bern 2003, S. 216ff.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 65, Nr. 4, Bern 2003, S. 216ff.

Weitere Informationen
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
-
Verfügbarkeit
-